Es schreib einst im Mai22 jemand in einer dieser Social Media Foren als er von unserem Projekt erfuhr: „Lettland an der Küste ist langweilig, fahrt durchs Landesinnere“. Meinte er. Ich kann nicht sagen ob er recht hatte, Fakt ist aber, wir nahmen einen ordentlichen Schluck aus der Landesinneren Pulle. Dies war mehr dem Umstand geschuldet, die Route in dem 4000-KM-Rahmen zu halten, als dass uns nicht die Küste auch gereizt hätte. Mann kann nicht alle(s) haben, sage ich immer. Soviel vorweg: es war weder langweilig noch öde, es war – einmal mehr – klasse. Lest, seht selbst.
Lettland – Atemberaubend & historisch
Fakten: 6Tage / 465km / 890hm / allgemein: 1,9 Mio Einwohner, 31 Einw/km², BIP 39 Mrd $
Auf einer verkehrsreichen Hauptschlagader unweit des bisherigen Radweges Nr. 10 nimmt uns Lettland in Empfang und wird uns mit zahlreichen vorbei donnernden LKWs für die nächste 100 Kilometer Geleit geben (an dieser Stelle sollten wir die legendär charismatische Dr. Jasmin kennenlernen, nachzulesen im Live Baltikum Blog). Diese Hauptachse A11 ist leider alternativlos, will man nicht im Sand versinken, der üble Gegenwind macht die Sache nicht leichter. Der Asphalt ist freilich gut, auch der weiße Randstreifen bietet uns halbwegs (maximal optischen) Schutz und unsere Zone ist über den Großteil der Strecke gar breiter als 80cm … ich habe nicht gemessen, aber gefühlt hat man 120cm für uns Radler reserviert. Doch das schreckt die Könige der Landstrasse wenig. Die „krawallbrummen“ mit ihrer Ladung an uns vorbei. Es scheint, als ob der weiße Wegesrand exakt die Grenze für unsere schwarzen Reifenflanken darstellt – da nehmen die Brummi Piloten es schon genau. – der Mittelstreifen hat zudem eine Perforierung, die nahezu bei jedem Truck einen gewaltigen Sound erzeugt. KawummmKawummm … einer nach dem anderen – man glaubt es kaum, wieviel Ware in einem solch kleinen Land verteilt (oder transferiert) werden will. Krass.
Die schwindende Einwohnerzahl pro KM² beschert uns obendrein eine sehr sparsame Infrastruktur hinsichtlich Wasser, Lebensmittel etc.. (von wegen „wenig Ware im Umlauf) … und dennoch, die wenigen Orte, die wir durchqueren haben ihren ganz eigenen morbiden Charme. Die russische Vergangenheit ist unverkennbar, die Holzhäuser stehen malerisch am Straßenrand und uns vor Staunen nicht selten der Mund offen. Der Stopp in Kuldiga ist atemberaubend und unsere Nacht am Strom der Venta erinnert mich, dass ich einen Lieferanten gleichen Namens habe, was mich aber keineswegs vom Urlaubsmodus abhält. Die Letten haben es mit dem Gasgeben. Die Nacht hier ist geprägt vom Sound der aufgemotzten Autos der hier ansässigen Jugend. Doppelend-Auspuffrohr, lackierter Spoiler und Nebelscheinwerfer stehen in krassem Gegensatz zu den maroden Wohnhäusern, die wir passieren.
Lettland wird 1940 von den Russen annektiert (ach was), konnte aber nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion 1991 seine Unabhängigkeit ausrufen (Annektion ist auf Dauer einfach keine gute Lösung). Dennoch ist diese Vergangenheit spürbar und im Land lebt noch eine große Minderheit von 30% russischstämmiger Menschen.
Was Danzig in Polen war, ist nun Riga in Lettland für uns. Eine gewaltige, eine tolle Stadt mit einem „Ah“ und einem „Oh“ an jeder Ecke. Riga beeindruckt uns so sehr, dass wir uns entscheiden, mal wirklich einen echten Ruhetag einzulegen. Von Jurmala kommend (eine nicht enden wollende sehenswerte Durchfahrt am Ostseestrand) stationieren wir nun direkt in der Stadt am Ufer der Duna mit Blick aus dem Zelt direkt auf die Altstadt. Ein Traum.
Jūrmala erstreckt sich über etwa 40 km nordwestlich von Riga entlang der Küstenlinie und setzt sich von West nach Ost aus 15 Teilorten zusammen. Der Ortsteil Bulduri hieß früher Bilderlingshof und war vor 1914 der bevorzugte Sitz der deutsch–baltischen Intelligenz, des Geld- und Blutadels. Der Ort hat einen langen weißen Strand, der sich nach Osten 10 km auf Riga zu erstreckt, während man westwärts, durch nichts unterbrochen, mehr als 20 km an einem Stück vorfindet. Das ist der eigentliche Hammer.
Man stelle sich vor: Jūrmala ist ein Kurort, der vom 1. April bis zum 30. September nur nach Entrichtung einer Straßenbenutzungsgebühr von Gästen befahren werden darf; er gilt als bevorzugte Wohnlage. Sehenswert sind die Villen in Holzbauweise aus der Zeit der Jahrhundertwende zum 20. Jahrhundert, die im Jugendstil errichtet wurden.
Auch wenn die baltischen Länder allesamt relativ nahe beieinander liegen, jedes Land hat seinen eigenen – klar abgegrenzten Charme. Die Radwege in Lettland sind nicht so populär, aber immerhin – wenn dann – in einem besseren Zustand. Die Städte klein und malerisch und die Ostsee brandet wild gegen die Klippen. Einige Spots gar kommen noch auf meine „da musst du nochmal hin“-Liste. Wir sind im Plan und haben noch so viel vor uns liegen.
Fazit
Die Letten sind ein stolzes Volk. Wir haben die Tage genossen, die Landschaft ist saftig grün, die Natur zu dieser Jahreszeit blühend und farbenfroh. Der Verkehr auf der Hauptader kein Spaß, aber die vielen wunderschönen Ortsdurchfahrten, oftmals durch alte Ortskerne entschädigt über die Maßen. Riga hat uns fasziniert und in den Bann gezogen. Wer die Chance hat, dort zu zelten: schöner geht es kaum (sieht man mal von der Techno Disko am anderen Ufer am Wochenende ab). Auch die Ostsee präsentierte sich in Lettland von ihrer ganz schönen Seite. Traumhafte Campingplätze, freundliche Menschen, wilde Dünen und unvergessliche Panoramen. Wir sind mittendrin in unserer Reise und Lettland rangiert auf den vorderen Plätzen.
Mehr Infos dazu auch hier.
Teil 1 – Polen
Teil 2 – Litauen
Teil 3 – steht hier
Teil 4 – Estland
Teil 5 – Finnland
Teil 6 – Schweden
Teil 7 – Dänemark
Bonusblog D hier -> Deutschland
Ein paar Impressionen aus Lettland:
Trackbacks/Pingbacks