Cross 2009, der erste (der zweite folgt sogleich)
Prolog
Hoch soll sie liegen. Die Latte. Hoch. Wer achtmal crosst, darf sie auch hochlegen. So kam es, wie es kommen musste: sie lag hoch, die Latte, die ich meinem Kumpel Werner vorschlug: knapp 16.000 Höhenmeter und 500 Kilometer wurden das Maß der Dinge.
Und wenn man schon mal vom Größenwahn beseelt ist, dann toppt man eine gut gewürzte Alpencross Planung schon im Vorfeld mit dem Umstand, dass der Tag der Rückkehr von Cross 1/2009 zugleich der Vortag des Start zu Cross 2/2009 sein wird. Wie verrückt muss man sein?
Sind wir nicht alle ein wenig cross? Noch während ich im Frühjahr mit Werner die Feinheiten der 2009er Tour bespreche und wir Feintuning betreiben, läuft simultan der Dialog mit Silvia, Renate und Max hinsichtlich des unmittelbar anschließenden Alpencross. Wir werden gleichartige Passagen haben, hier und da entschärfen und so gestalten, dass sowohl Genuss als auch Anspruch bedient wird. Wie verrückt muss man sein? Aber schön ist´s schon.
Der Eintrag im Logbuch vom Vorabend der Abfahrt mit 5 Ausrufezeichen: Es regnet Kübelweise !
Tag1 – Der „hats-uns-noch-erwischt-Tag“
Mittenwald – Gaisalm – Ehrwalder Alm – Ehrwald – Lärchenwald – Fernsteinweg – Schloss Fernstein – Dirstentrittkreuz – Sinnesbrunn – Obtarrenz – Tarrenz (2240 Hm / 77+11km / 6:38h Fahrzeit)
Werner schaut mich erwartungsvoll an? Die Frage steht im Raum: „Udo, was hast Du heut im Angebot? Hundebiss? Geruchsbeigaben? Sonstige Besonderheiten, Überraschungen oder gar Hiobsbotschaften bzw. skurrile Anekdoten?“ Fragend, kein Wässerchen trübend, schaue ich ihn an. „Ich muss Dich enttäuschen mein Freund: nichts dergleichen: nur gute Laune, eine ordentliche Regenhose, eine Portion Fitness, die man über das erste Halbjahr gut aufgebaut hat. Und Lust. Pure Lust auf die kommenden Tage. Gib mir fünf, Werner. High Five.“
Auch wenn die Uhrzeit noch relativ unchristlich ist, wie schreiben das Jahr 09, den Monat Juli und den Tag 23, jedoch noch schlafenswerte 6Uhr irgendwas, als der Zug sich wieder in Bewegung setzt. Ziel ist Mittenwald.Von nun an gilt: Berge duckt euch, wir kommen.
Die Uhr schlägt elfmal, als wir am Bahnhof auschecken und dann knallt es plötzlich in unseren Köpfen ganz laut: der Startschuss zum Alpencross ist soeben gefallen, Tachos auf Null, GPS on, Rucksack festgezurrt und auf geht’s Kamerad.
Summ Summ, die Schwalbe Pneus surren zunächst noch über den Asphalt, wir peilen die Ehrwalder Alm an, doch zunächst geht es entlang der Klamm in Richtung Leutasch.
Es scheint beschaulich auf den ersten Metern, wir rollen entspannt dahin, haben das Warm-Up-Programm aktiviert und freuen uns über die flotte Inlinerin, die im wahrsten Sinne des Wortes unsere Route kreuzt. Natürlich Grund genug unser Tempo etwas zu drosseln und über die Länge des gemeinsamen Weges zu verhandeln. Leider mag das nette Fräulein den Weg zum Gardasee nicht gemeinsam mit uns einschlagen und gibt – wenngleich lächelnd – aber doch bestimmt zu verstehen, dass dort vorne an der Straßengabelung Schluss ist mit Flirt-Faktor. Wir müssen rechts (Schotter), sie leider links. Tja, Mann kann nicht alles haben. Wir entscheiden uns also für (weiter)Crossen und haben für die nächsten 60 Minuten ausreichend Gesprächsstoff. Inlinern ist ein toller Sport, findest Du nicht auch?
Die Streckenführung ist ok. Der Weg bleibt zahm, die Steigungen in Richtung Ehrwald entlang des Wettersteingebirges vergleichsweise harmlos. Und trotzdem: kaum unterwegs, sind wir schon wieder mittendrin im Crosserleben. Das eben erwähnte Bergmassiv rechts liegend lassend, zweigen wir nun auf das breite Schotterband in Richtung Gaistal. Es duftet nach Wald, es klingt nach Natur, es plätschert der Bach (auch wenn das jetzt so furchtbar kitschig und plakativ klingt – es passt) und was fehlt ist nur noch der röhrende Hirsch. Anstelle dessen bekommen wir gratis über fast die gesamte Wegesbreite schottische Hochlandrinder zu Gesicht, die einerseits hier nichts zu suchen haben, andererseits so schön sind, dass wir uns über den Fotopausen-Stopp freuen. Hörner so breit wie Stoßstangen, ein sexy Pony über der Stirn und ansonsten auch durch Biker nicht aus der Ruhe zu bringen. Wunderbar.
Kurz gerastet, frisch gestärkt geht es nun geradeaus in Richtung Ehrwalderalm, die für das leibliche Wohl zur Mittagszeit sorgen, uns aber herb enttäuschen sollte. Traumhaft gelegen, inmitten einer idyllischen Berglandschaft blicken wir von ca. 1600 Metern hinab auf die besagte Alm, die etwas klobig in der Landschaft steht. Wir lösen die Bremsen und nach kurzem Abfahrtsflow landen wir auf exakt 1519m direkt an der Aussichtsterrasse dieser Touristenhochburg, die auch für Light-Wanderer ein sehr beliebtes Ausflugsziel zu sein scheint. Wir ordern zwei warme Speisen, Crosser haben schließlich ordentlich Hunger, und erhalten zwei, naja – wie soll ich sagen – etwas undefinierbare Mehlspeisen, die weder unserem Anspruch noch dem faktischen Appetit Rechnung tragen. Nachdem nun, aus welchem Grunde auch immer, auch noch ordentlich Wolken aufziehen entscheiden wir uns für einen schnellen, aber beherzten Abgang und machen gedanklich einen Haken hinter diese Station. Sterne gab es hier nicht zu vergeben.
4Sterne erhält aber die Abfahrt, die nun hinunter nach Ehrwald folgen soll. Es geht schon kurvig und von der Wegbeschaffenheit her gut fahrbar hinunter, die Bremsen bekommen gut zu tun und wir zwei auf unseren Bikes lassen es ein klein wenig krachen. Doch trotz aller Freude: einerseits hat der Wettermann über uns wohl andere Pläne zum Thema „schönes Wetter“ und andererseits kommt der eigentliche Knaller des heutigen Tages wohl erst noch, der Blick auf das Höhenprofil während unserer kargen Jause hat es einmal mehr offenbart: Höhenmeter, Höhenmeter, das war bislang nur Kindergeburtstag. Jetzt geht es eigentlich erst richtig los. Das war bisher nur der Warmup. Der Wind fängt an zu pfeifen.
Immer wieder erliegen wir der Versuchung einen Blick zurück auf das imposante Massiv der Zugspitze zu werfen. Die Loisachquellen rechts des Weges sorgen für einen letzten Fotostopp und von nun an sollten stete Stiche kommen, die uns ordentlich fordern. Auf 1266m dann der Abzweig in die Tiefe, der nun 2,2Kilometer dauert, um uns an der Fernpassstraße auszuspucken. Der Trail gleitet ins Tal, er ist verwunden und technisch, kurzum: er ist geil.
Später Nachmittag: gut 50 Kilometer und 1300 Höhenmeter sind mittlerweile verbrannt. Circa 20 Kilo- und etwa 1000 Höhenmeter liegen noch vor uns. Die Wetterlage ist unschlüssig, aber alles andere als sommerlich freundlich. Wir machen uns auf den Weg hinauf zum Dirstentrittkreuz. Das klingt schon so sperrig. Dir-sten-tritt-kreuz. Iiihgitt
So wie es klingt, so fährt es sich auch. Rampen wären die niedliche Umschreibung dieser senkrecht weisenden Schotterstrasse. Nett auch, dass der Tourismusverband Fernstein auf Schildern freundlich aber zuverlässig darauf hinweist, dass sich der geneigte Biker auf einer, Achtung, Mountainbike-Schiebestrecke befindet. Wir radeln – noch. Doch irgendwann neigen sich auch unsere Körner dem Ende zu und wir geben gegen den losen Untergrund und die satte Steigung (reale 24-25%, gefühlte 28-30%) auf. Herr Berg, ich ergebe mich … lass mich schieben. Das tun wir nun ein gutes Stück und gelangen an einen in den Fels geschlagenen Tunnel. Kurze Verschnaufpause. Crossen kann auch anstrengend sein. Der Weg zum Dirstentrittkreuz zieht sich so wie sein Name auf der Zunge zerbricht.
Die Gegend hier oben knapp unterhalb der 2000er Marke ist schroff und ursprünglich sowie karg und einsam. Als wir am Kreuz anschlagen, der Weg war kräftezehrend, frischt der Wind abermals auf, dunkle Wolken machen Jagd auf uns, nachdem sie uns während der Auffahrt sorgsam beäugt haben. Schnell rein in die Klamotten und los. Der Trail führt ins Tal, etwas verwunden und von manchem Murenabgang verschüttet, aber traumhaft, wenn das Wörtchen Wenn nicht wäre. Wenn der Blick nur schön gewesen wäre, dann hätten wir jetzt ein Traumszenario vor Augen. So haben wir außer dichter Suppe und einsetzendem Regen gar nix vor Augen: nur Nässe.
Wir stürzen in die Tiefe, soweit das auf dem Fels und Schotter möglich ist. Richtung Sinnesbrunn und Obtarrenz geht es nunmehr durch den wolkenbruchartigen Regenschauer hinab und einmal mehr stellt Udo fest: guten Regenklamotten wären schon Gold wert. Meine Gore Hose ist im Rucksack (dachte ja, dass es nix tut) meine Windjacke taugt zur Wind- aber in keinster Weise zur Regengegenwehr und meine Regenüberschuhe sind wunderbar wasserdicht im Deuter ganz unten verstaut (tut ja nix) … mittlerweile bin ich so durchnässt, dass es keinen Sinn machen täte, die Regenpelle anzuziehen, also stürze ich weiter talwärts, quasi halbnackt. Werner hat mindestens 4 Minuten Rückstand, aber dafür ist er – wie immer – Voll-kondomig verpackt. Von oben bis unten komplett eingetütet. Recht hatt´er. Eines Tages lern ich es auch noch.
Die Kirchturmuhr schlägt 8x als wir in Tarrenz aufschlagen, kaputt, müde, Klitscheklatsche nass (außen und innen ich / nur innen Werner J). Unser Hotel zum Lamm liegt in des Ortes Mitte und ist ein Wohlfühltipp. Wie versaute Landstreicher fallen wir in das feine Ambiente des rustikalen aber sehr feinen Hofes ein und haben ein klein wenig schlechtes Gewissens, ob unserer platschenden Sohlen. Wir parken die Bikes im Heizungskeller, legen unser gesamtes Equipment dazu und senden ein Stoßgebet zum Himmel, er bzw. die warme Luft möge alles trocknen. Dann heißt es ausgiebig Essen fassen, Bier bestellen und letztlich ab in die Heia zum Körperhorchen und Schwimmhäute abklingen lassen. High Five – der erste Tag war ein guter Tag.
Adresse des Tages: Hotel zum Lamm, Ralf Rauchberger, Hauptstrasse 5, 6464 Tarrenz, Telefon: +43 (0)5412 66023, Fax: +43 (0)5412 6602374, eMail: lamm@hotel-lamm.at, Website: www.hotel-lamm.at
Erkenntnis des Tages: Wenn man schon Regenklamotten mitnimmt, sollte man sie auch nutzen!
Tag2 – Der „wie-bei-Mama-Tag“
Tarrenz – Imst – Imsterberg – Venetalm – Piller – Pillerhöhe – Fleiß – Landeck – Tobadil – Almstüberl – Sahnetrail – See (2511hm / 62km / 5:57h Fz)
Tag zwei beginnt wie Tag eins aufgehört hat: kämpferisch. Herr Rauchberger, seines Zeichens passionierter Jäger, zeigt uns seine Trophäen Sammlung. Geweihe und Gefieder jeder Couleur vom australischen Bock über afrikanische Antilopen bin hin zum heimischen Zwölfender: alle sind sie vertreten und zieren nun recht leblos die Wände der rustikalen Apres Ski Bar. Tja, Männer haben nicht alle die gleichen Leidenschaften. Uns gelingt der Ausstieg aus der intensiv werdenden Diskussion rechtzeitig – immerhin müssen wir heute auch noch jagen: knapp 60Kilometer und wieder mal gut 2300 Höhenmeter gilt es zu erlegen. 3 Gipfel werden wir queren bevor wir von dieser Jagd in See (vor Ischgl) als müde Krieger einkehren werden.
Der Radweg bis Imst ist harmlos, doch gut 30min später heißt es einmal mehr Waden hochkrempeln. Das Wetter scheint stabil, unsere Klamotten duften weniger nach Persil als vielmehr nach einer Ölbohrplattform, aber die nächste Abfahrt wird dieses Aroma wohl wieder auspusten. Vor die Abfahrt hat der liebe Gott aber nun mal die Auffahrt gesetzt. Der Weg zur Ventetalm ist nicht sonderlich spektakulär aber schön genug um erwähnt zu werden. Ein breites Schotterband quert den Hang, Blicke ins Tal machen die schweißtreibende Angelegenheit kurzweilig und als wir kurz vor der Alm von einer Horde Quadfahrer überholt werden, weicht der Heizölduft dem Zweitaktgemisch, das diese Knatterkarren hinterlassen – der Unterschied ist jedoch nur marginal. So, liebe Jagdgemeinde: die ersten 1262 Höhenmeter haben wir platt gemacht.
Doch was tut sich da im Norden auf? Eine gewaltige dunkelgraue Wolkenfront. Bedrohlich schaut sie aus und auch irgendwie dynamisch, macht sie doch eine gewisse vorwärts und seitwärts Bewegung – leider eindeutig in unsere Richtung. „Weeeeeerner schau mal“.
Mensch, nicht schon wieder Regen. Diesmal springen wir beide, nachdem wir bezahlt haben auf die Bikes in der Hoffnung, dem Regen zu entkommen. Doch mitnichten. Nach kurzer Fahrt haben uns die dicken Tropfen eingeholt. Jetzt aber – Udo lernt schnell – rein in die Montur, kein zweites Mal den Vollwaschgang. Alles, was wir zur Regenabwehr mit uns führen, wird herausgezogen. Regenhose, Regenjacke (oder das was ich dafür hielt), Regenschuhe, Handschuhe, Duschhaube aus dem Hotel Lamm (der perfekte Schutz auf dem Helm), Kapuze, fertig ist die Alp-X-O-naut Verpackung. Es kachelt ordentlich, wir lassen es dennoch, den Wetterverhältnissen entsprechend laufen. Diesmal scheint uns Herr Gott wohl gesonnen: der Schauer ist nur von kurzer Dauer. Logo, wenn ich mich schon mal komplett einkleide, Tsts. Also alles wieder aus. Das ist purer Crosser Stress.
Wir cruisen weiter und kommen nun in forstähnliches Gebiet, viele Wurzeln, schöne Abfahrten und überall Felsen und moosbewachsenes Geläuf. Als ob wir Holzbohlen vor dem Kopf hätten, bemerken wir erst jetzt, dass wir uns auf der berühmten via Claudia befinden. Also wirklich. Der Weg ist eine Wucht. Als wir die sogenannte historische Flieser Platte passieren, geht der Konzentrationslevel augenblicklich nach oben. Eine sehr kniffelige Passage, steil hinunter, auf glattem Fels, mit einigen Stufen versetzt. Wir stoppen, rechnen unsere Chancen aus und versuchen unser Glück. Die Sequenz wird per Video eingefangen und auf einmal merken wir, dass es sogar Publikum gibt. Auf einer Bank haben es sich zwei Paare gemütlich gemacht. Lustig scheint es zu sein. Sie applaudieren, rufen uns zu sich und wollen wissen, woher, warum, wieso und überhaupt. Bevor wir antworten können, schenken sie uns erst ein mal ein ordentliches Stamperl aus ihrem Flachmann ein und grinsen uns an. Wir grinsen zurück, lassen uns nicht zweimal bitten und nehmen einen kräftigen Schluck. Tja, Brautpaar in spe und die auserwählten Trauzeugen führen hier wohl so eine Art Endbesprechung durch und entsprechend ausgelassen ist die Stimmung. Auch der zweite Schnaps macht die Runde und wir Crosser, erfahrene Ehemänner, geben noch den einen oder anderen Rat zum besten, bevor wir mit fröhlichem „gute Fahrt“ entlassen werden. Die Flieser Platte nehmen wir dieses Mal sicherheitshalber per Pedes um nicht in ähnliche Kalamitäten zu kommen, wie seinerzeit die Römer auf ihrem beschwerlichen Weg.
Das nächste Schild frohlockt: „Rundwanderweg See-Dorf / Singletrail Tobadill 704“ Der Trail ist spitze, lenkerbreit und mit einigen Schikanen sowie letztlich einer Megarampe von knapp 30% Steigung. Werner meistert sie, ich schaffe 90% der Strecke. Fahrfehler, tja, aber bitte keinen zweiter Versuch. Weiter geht es nun in Richtung Almstüberl. Die vielleicht einstmals florierende Gastwirtschaft (oder was immer es einmal gewesen ist) ist nun eine sich selbst überlassene Ruine. Überwuchert von Unkraut, zerfallen hier und dort und schlicht alleingelassen an diesem schmalen Pfade, auf dem hunderte von Bikern noch kopfschüttelnd vorbeiziehen werden. Ein paar Meter weiter gilt es abermals den Kopf zu schütteln, aber weniger aus Unverständnis, sondern vielmehr aus Vernunftgründen. „Nein, nein. DAS fahr ich NICHT“.
Es geht steil bergab, der Weg hat an Breite keinen Zentimeter zugenommen, und dann kommt ein ganz scharfer Rechtsknick, der auf einer ca. 15cm breiten, dauerfeuchten Holzplanke einmündet um dann abermals scharf, links wieder auf dem Trail, nun steil bergan zu folgen. Die Holzplanke dient der Überbrückung eines tosenden Wildwasserbaches, der sich nahezu senkrecht in die Tiefe stürzt.
Als wir in See, einem kleinen Touristenort, ankommen, gilt es nur noch, unser im Vorfeld reserviertes Quartier zu finden und damit die Nachtruhe einzuleiten. Frau Zangerle scheint uns schon zu erwarten. Ganz nach „Mama-Art“ empfängt sie uns aufs herzlichste, führt uns in unsere Räume und erzählt fast wie ein Wasserfall von allen möglichen Dingen, die aufzulisten hier den Rahmen sprengen würde. Aus Werners Aufzeichnungen geht hervor, dass wir sehr christlich empfangen wurden und an diesem Ort die Moral, die Ordnung und die Tradition noch großgeschrieben werden. Na, dann sind wir ja richtig.
Wir empfehlen uns und statten der gegenüberliegenden Gastwirtschaft einen Besuch ab. Hier ist heute Heimatabend, Volksmusik aus dem Fernseher, der Altersschnitt wird von uns drastisch gesenkt und ein Herr im Unterhemd am Tresen beherrscht die Szenerie. Egal. Wir haben Hunger. Gegen 22Uhr nach einem „das-hätt-jetzt-nicht-mehr-sein-müssen-Vanilleeis-mit Eierlikör“ kreuzen wir ein letztes Mal die Hauptstrasse und fallen – nach Elmexprozedur – tief zufrieden in die christlichen Federn.
Adresse des Tages: Pension Zangerle, Herbert Zangerle, Au 146, 6553 See, Tel.: 0043 5441 8213. Fax: 05441 8213. E-Mail: haus.zangerle@aon.at.
Erkenntnis des Tages: Nicht überall wo Almstüberl drauf steht, ist auch Almstüberl drin.
Tag3 Der „Schenkel-brenn-und-Gondel-Tag“
See – Talweg Kappl – Ischgl – Idalpe – Idjoch – Alpe Tidra – Compatsch – Larret Sammnaun (2207hm / 41km / 4:12h Fz)
Nach unserem christlichen und herrlich umsorgten Frühstück, der geflissentlichen Kenntnisnahme der tollen Beiträge von Bayern1 (Achtung: die Nachricht des Morgens war, dass ein Bauer vom Kamel (!) gefallen war und 3,1 Promille intus hatte) und den besten Wünschen unserer Herbergsmutter, heißt es nun Kette ölen. Die Tanke vis á vis kommt da grad recht. Beherzt bitte ich den Tankwart (ein Berufsbild, dass neuerdings nur noch einem Hilfs-Kassenwärter ohne KFZ Kenntnisse entspricht) um einen Tropfen Öl, der Herr der Kasse nickt und verschwindet in der Besenkammer aus der er – Minuten später – wieder mit einem Ölkännchen herauskommt. Mein grinsendes „Danke“ erfriert augenblicklich, als ich in das Kännchen blicke: der „Tropfen Öl“ wurde wörtlich genommen, wenn ich die Kanne auswringe, wird er vielleicht noch irgendwo hervorquellen. Vielleicht dachte er, ich will einen Ölwechsel (am Bike, jaja) machen und brauche ein leeres Gefäß.
Egal, Pension Zangerle liegt im Wortsinne direkt auf unserer Spur und so finden wir den Einstieg in den nun folgenden Traumtrail hinter dem Haus ohne Probleme. Der Tag fängt ja gut an. Lenkerbreit, verwunden und gut verwachsen geht es voran, ab und an eine kleine Technikpassage den Blick stet auf das links unten liegende Tal, floaten, surfen und zirkeln wir einige Kilometer über den „Talwanderweg 3“ nach Kappl von See (1120m) bis nach Ischgl (1320m) und überwinden dabei gut über 600 Höhenmeter durch stetes auf und ab.
Ziel heute: Idalpe mit Endziel Idjoch auf – Achtung – 2737m. Uff. Schluss mit lustigem und relaxtem Trailsurfen. Wir folgen der Wegweisung „Ischgl Ironbike“ und natürlich der GPS Spur. Der Hang der Skipiste bäumt sich vor uns auf. Ultrasteil, loser Schotter, unfahrbar. Was macht der Crosser in so einem Fall? Er schiebt. Während wir uns bergan Meter für Meter erkämpfen, hören wir hektisches und tendenziell eher schrilles Stimmengewirr von der Bergkuppe. Eine vierköpfige holländische Familie auf Leihrädern (Alivio Mountainbikes mit Elastomerfedergabel und V-Brakes) steht dort oben und hadert mit der vor ihnen liegenden Situation. „Wie sollen wir denn da runterkommen?“ hängt als angstvoller Gedanke in der Luft. Die dünnsohligen Pseudoturnschuhe ohne Schnürsenkel machen das Vorhaben nicht leichter. Der etwas beleibten Mutter rinnt der Schweiß von der Stirn, der Vater im fortgeschrittenen Alter versucht cool zu bleiben, eine große Hilfe ist er den anderen aber auch nicht, die zwei Teenager tapsen Schritt für Schritt schiebend abwärts und haben Mühe, dass sie von ihrem Bike nicht überholt werden. Vielleicht hätte man sich vor Tourantritt einmal Gedanken über die Route gemacht – wie sie dort hochgekommen sind, bleibt uns ein Rätsel.
Der Weg zur Idalpe ist beschwerlich. Die Milchsäure im Oberschenkel köchelt vor sich hin, Werner und ich achten – jeder für sich – sorgsam darauf, dass sie nicht überkocht. Es vergeht ein wenig Alpencrosszeit, bevor wir, gut durchblutet, an der Idalpe anschlagen und somit einen kleinen Haken auf unserem anspruchsvollen Tourenplan setzen können. 2306m zeigt unser GPS Gerät an. Meine Polaruhr signalisiert eine stabile Situation. Ergo: Hand heben, absatteln, Stopp, Pause, Einkehr.
Die Idalpe ist leider keine Hütte. Sie ist ein Bauwerk, ein Bollwerk. Betongewordene Realisierung der Tourismusplaner als Antwort auf die Frage „wie beherberge ich möglichst viele Touristen jeden Alters und generiere dabei möglichst viel Umsatz?“. Die Riesenterrasse bietet Platz für ein Fußballfeld, die ca. 20köpfige Blaskapelle orgelt was das Zeug hält, und sämtlich Nutzer der Gondellinie „Ischgl – Idalpe“ hocken in Sandalen vor ihrem Weißbier und Eisbein, oder Kaffee und Kuchen, je nach persönlicher Neigung. Eigentlich furchtbar, aber in Anbetracht des Wetters (traumhaft blauweiß), des Ausblickes (gigantisch) und der Zeit (have a break, have a Xenofit-Bar) und ob unseres Vorhabens (Bezwingung des Idjochs 2737m) in jedem Fall berechtigt, diesen Stopp nun auch durchzuziehen. Ausgiebig bitteschön. Die Kapelle bläst einen Marsch nach dem anderen und wir gönnen uns abseits der Hektik auf den bequemen Liegestühlen (zu unserer Überraschung gratis) ein Radler und das perfekte Panorama. Herrlich. Lieber Leser, legen Sie das Buch zur Seite und halten eine Weile inne.
Das Verbotsschild in Richtung Idalpe hatte uns zunächst nicht weiter irritiert – sind doch solche Schilder dazu da, ignoriert zu werden. Als wir jedoch sehen, dass kein einziger Biker die hinaufführende Spur säumt, werden wir stutzig. Des Rätsels Lösung erfahren wir am Lift, zu dem wir geschickt werden: Schotterweg gesperrt, Bauarbeiten, Sprengungen – kostenlose Liftbenutzung ist heut im Angebot. Na prima. Das heißt im Klartext, wir betuppen uns hinsichtlich der Etappenplanung selbst um nicht weniger als 400 Höhenmeter. Hilft nix. Schwupp die wupp befördert uns die Gondel von 2308 auf 2723m und während wir im Skisessel vor uns hinschaukeln, sehen wir weder Bauarbeiter geschweige denn hören eine Sprengung. Das Schotterband unter uns ist vollkommen intakt und menschenleer. Ein Jammer. Der nette „Schaffner“ hilft uns samt Bike und Rucksack aus der Gondel und zack-peng-bum stehen wir unvermittelt auf Schweizer Boden. Das haut uns um. Nicht der Boden, sondern vielmehr das gigantische Panorama, welches wir uns ja ursprünglich hart erarbeiten wollten. Der Wahnsinn für die Netzhaut. Gipfel soweit das Auge blickt. P-a-n-o-r-a-m-a – hier muss dieses Wort erfunden worden sein. Besser geht es fast nicht, zumindest in die „Gondellose“ Richtung. Der Hammer.
Wir inhalieren und entscheiden uns schweren Herzens zum Downhill, der jedoch mit scharrenden Cleats erwartet wird: das vor uns liegende Schotterband ist brettl-eben und gleicht einer Autobahn. Wir stürzen ins Tal und genießen dennoch an jeder Kehre eine neue Variante des Ausblicks. Bis hinunter auf 2200m – zur Alpe Trida – geht der Spass und da wir ordentlich Zeitpluspunkte gesammelt haben, kehren wir erstmal wieder ein. Es muss 15.59h gewesen sein, als wir an der gemütlichen, jedoch fast menschenleeren, Hütte anklopfen. Um 16h ist Schluss verrät man uns. Aha. Wir verhandeln einen „Last Order“ und bestellen Cafe, Bier, Grappa und Nußzipfli im Doppelpack. Wenn schon, denn schon. Was für ein Leben. Freie Tischwahl auf der Terrasse. Ruhe. Panorama. Aber das sagte ich schon. Die Sonne strahlt mit uns um die Wette. Wir gewinnen mit knappem Vorsprung. Diesen Zustand halten wir mühelos bis ca. 17.45h und nach einem feierlichen Grappa-Trinkspruch lautet das Kommando: Aufbruch, Endspurt. Endziel Compatsch/Larrett.
Zur Abfahrt hinunter ins Tal bitte ich um Formulierungsvorschläge. Es gilt die Worte „phantastisch“, „perfekt fahrbar“, „wunderschöne Blicke“ und „TopSpot“ in einen Singsang umzumodulieren, der seinesgleichen suchen darf. Wisst ihr, was ich meine? Ultimativ und empfehlenswert³. Im Logbuch ist hierzu vermerkt: Orgasmusgefühle. Das will was heißen.
Adresse des Tages: Hotel Cresta, Familie Brigger, CH-7562 Samnaun-Laret, T (+41) 081/ 868 52 23, F (+41) 081/ 868 55 20, info@hotelcresta.com, http://www.hotelcresta.com/
Erkenntnis des Tages: Mit Sonne ist es einfach schöner !
Tag4 – Der „was-vergessen-nicht-erlebt-Tag“
Compatsch – Kobler Alm – Pfunds – Grenze – Scoul – Martina – Sur En – S-Charl (1877hm / 68km / 5:12h Fz)
Unser 4.Alpencrosstag hat noch gar nicht richtig begonnen, schon befinden wir uns mitten auf einem „Philosophen-Radweg“. Alle 150m ein Stamm mit Bilderrahmen, in diesem Bilderrahmen hochgeistige, aber allesamt, wunderbare Aphorismen und Lebensweisheiten. Dieser Weg verströmt geradezu eine buddhistische Ruhe und gibt uns Kraft und Gelassenheit. Ein Jammer, die Tafeln im Wiegetritt „vorbeifliegen“ zu lassen – andererseits, wollten wir jede erfassen und dabei innehalten, wäre es im Nu Mittag. Geblieben ist ein Ausspruch von Ernst R.Hauschka (geb. 1926), der uns – für unsere Reise so passend! – folgenden Spruch mit auf den Weg gibt: „Was man vergisst hat man im Grunde nicht erlebt“. Wie recht er hat(te). So stoppen wir zwei- dreimal und halten uns dann diszipliniert weiter in Richtung Kobler Alm (1921m), unserem nächsten Ziel, saugen aber gleichzeitig möglichst viele unvergessliche Momente in uns auf.
Unser GPS bestätigt den Weg nach S-Charl, dass irgendwo ganz weit dort hinten liegen muss. Den Abzweig zum legendären Aufstieg ins Val di Uina (siehe Band1) lassen wir sprichwörtlich links liegen und halten weiter geradeaus ins Schweizer Land hinein. Die Sonne sticht mit ihrem scharfen Messer hinunter, der Herr der Winde hat sich entschieden in der brütenden Hitze nicht zu arbeiten und so sind wir unserem Schicksal überlassen. Es hätte eintönig werden können, wäre da nicht die Straßensperre gewesen. Zwei Knirpse bewaffnet mit Kelle, Pfeife und meterlangen belaubten Ästen verlangen einen theoretischen Wegezoll, wir werfen ein paar imaginäre Kaugummis ab und dürfen passieren.
Weiter zieht unsere zwei Mann Karawane. An der Großwetterlage hat sich nichts geändert. Es sticht. Der Weg kennt nur eine Richtung: der Nase nach. Wir kommen von Sur En (1123m), das Tagesendziel S-Charl liegt bei 1813m. An und für sich, nichts außergewöhnliches. Doch dieser Bandwurm schlängelt sich. Elend. Und zu allem Überfluss am Anfang auch noch durch stetes Auf und Ab weit über die erwarteten 700 Höhenmetergrenze hinaus. Der einsame Wurm mündet in einer noch einsameren Staubpiste, die sich – weiter berganführend – zwischen Bergflanken hindurch windet. Irgendwie. Irgendwie winden wir uns mit und nachdem der Nachmittag sich mittlerweile dem Abend zuneigt, wir etliche kurze Trinkpausen eingelegt haben und irgendwie das Gefühl des „nicht vorwärtskommen“ nicht loswerden, erscheint wie eine FataMorgana ein wilder Bach rechts des Weges. Zig Hundert „Stoana Mandl“ sind dort aufgetürmt, in allen Schwierigkeitsstufen. Hoch und schmal, breit und flach. Jeder „Mann“ für sich ein Unikat. Eine schöne Abwechslung und der Beweis: hier herrscht(e) Leben.
Noch sind wir nicht am Ziel, wohl aber am Ende mit uns….. diese für mich einsamste Piste der Welt, endet schließlich – aus mir bislang verborgen gebliebenen Gründen – doch noch und das Ortsschild S-Charl kündigt in diesem südlichen Hochtal am Rande des schweizerischen Nationalparks, Zivilisation an. Wir zählen 13 Häuser und eine Kirche – immerhin. Ein kleines romantisches Bergdorf. Endlich. Und dann klopfen wir an die rustikale Haustür des Crusch Alba. Wir werden erhört und empfangen. Der Hotelier reicht uns einen Schlüssel, der im 17. Jahrhundert wohl den Kammerdamen gehört haben muss. Uns ist alles egal, Hauptsache Duschen, Essen, und diesen scheinbar unendlichen Kampf nun auch als „gewonnen“ verbuchen.
Das Bikehotel Crusch Alba ist perfekt. Ein Bikehotel ala carte. Die Verpflegung ist entsprechend opulent. Herz, was willst Du mehr. Eigentlich nichts mehr, ein Grappa ginge noch. Und wie von Geisterhand sitzt der Wirt an unserem Tisch, 3 Gläser in Hand und ein breites Grinsen im Gesicht. Prost und Gute Nacht.
Adresse des Tages: Alpengasthof***, Crusch Alba, ed Alvetern, Jon Duri Sutter, CH 7550 S-char/Scoul Engiadina, Tel +4181 864 14 05, Fax +4181 864 14 06, www.cruschalba.ch, info@cruschalba.ch
Erkenntnis des Tages: Wenn Du glaubst der Weg endet niemals, könnte es stimmen.
Tag5 – Der „das-kann-man-doch-nicht-toppen-Tag“ oder Ultimo-Tag
S-Charl – Alp Astras – Kosteiner Pass – Lü – Tschiervs – Val Mora (wow) – Lago Fraele – Lago Giacomo – Passo Verva – Eita – Fusino – Grosio (2050hm / 97km / 6:57h Fz)
6.45h, der Wecker klingelt. Tja. Petrus konnte es in der Nacht wohl nicht lassen. Er hat sich ausgetobt und sich – im Wortsinne – einfach mal so richtig ausgekotzt. Sprich: es ist klatschnass draußen, die Temperatur im einstelligen Bereich. Bäh.
Solange wir drinnen sind im Crusch Alba soll uns das nicht kümmern. Wir fassen erst einmal ein ordentliches Frühstück. Und das ist königlich. Müsli aller Herren Länder, Saft und was Biker sonst noch so braucht. Sogar für unsere Vesper wird gesorgt. Bike-Flaschen mit Sponsers Mineraldrink stehen parat, Müsliriegel werden gereicht und, besonderer Service des Hauses, ein richtiges schönes saftiges Powerlaiberl (Brot) lag gestern Abend auf unserem Kopfkissen: der Tag kann kommen. Wobei? Soll er mal lieber langsam kommen. Die Nebelschwaden verlassen den Ort S-Charl gerade, die Straßen dampfen, es liegt Nässe in der Luft. Und zu allem Überfluss sagt uns unser Roadbook heute 97km voraus und wir wissen eigentlich noch gar an welchem Ort heute defacto Endziel ist. Wir konsultieren die Wirtsleute und fragen nach einer geeigneten Unterkunft. Zwei Telefonate später ist die Sache geritzt. „Sagt Jim im Hotel Sassella in Grosio eine schönen Gruß von mir“ sagt Wirt Jon Duri Sutter grinsend zu mir und zwinkert dabei vielversprechend mit seinen lachenden Augen. Alles arrangiert. Perfetto.
Ok, Grosio, tatsächlich, das heißt stramme 97 Kilometer und gut 2000 Höhenmeter Tagesetappe. „Werner, acht Uhr, auf geht’s, wir haben heute noch was vor!“. Wir starten im Nieselregen, der sich jedoch relativ schnell verzieht und wir somit schon nach kurzer Rollzeit inmitten der Schweizer Berge herrlichste Panoramen wahrnehmen dürfen. Das Leben kann so schön sein. Der Passo Costeinas liegt vor uns und nahezu zeitgleich schieben sich die ersten Wolken schmollend zur Seite, blaue Flecken werden sichtbar, der Himmel erhellt sich zusehends. Wir grinsen und wissen zugleich: schon wieder 500 Höhenmeter versäbelt. Es geht bergab – kernig aber fahrbar, so steht es später in unseren Aufzeichnungen. Das sagenumwobene Val Mora ruft.
Was zunächst mit Standard-Moutainbiken beschrieben werden könnte, steigert sich nunmehr von Kehre zu Kehre zunehmend zu einem unbeschreiblichen Highlight, welches zu umschreiben mit sieben Buchstaben Genüge getan ist: Val Mora. Nachdem wir durch das ansteigende Tal, links und rechts Bachlauf und Bergflanken haben liegen lassen, am höchsten Punkt auf ca. 2200m angekommen sind, offenbart sich die ganze Schönheit eines Alpencross wie auf einem Rosenthal-Präsentierteller. Meine Herren, ist das SCHÖN. Val Mora in seiner ganzen Leuchtkraft. Unnötig zu erwähnen, das der Himmel mittlerweile in allerschönsten Azurblau leuchtet, keine einzige Wolke das Fragment dort oben beeinträchtigt und von Regen hier auf diesem Breitengrad grad in diesem Moment noch nie die Rede war. Es muss einmal gesagt werden, ganz offiziell als Ansprache: „Lieber Mountainbiker, liebe Mountainbikerin: wenn Du wirklich mal wo fahren willst, wo es wirklich schön ist, dann fahr Val Mora. Am besten Du fährst in S-Charl los.“ Der Hammer. Wir treffen zwei Mädels und viele Jungs. Um die Mädels kümmert sich Werner, um die Jungs kümmere ich mich nicht. Wir nehmen uns Time-Out. Zu schön hier. Sorry. Leg das Buch noch mal zur Seite. Es geht grad nicht anders.
Break. *
Innere Einkehr, Ruhe, Rast, inhalieren und relaxen, Kräfte sammeln, Seele locker machen. 30 Minuten im Gras liegen und die Bergwelt betrachten. Ja, warum eigentlich nicht? Hetzen wir nicht ohnehin viel zu viel von Mail zu Mail, von Meeting zu Meeting, Termin zu Termin von To do zu Zielvereinbarungen? Eben – Val Mora ist Outlook-freie-Zone. Geil.
Apropos Outlook, unsere innere Alpencross-Erinnerungsfunktion vibriert und meldet: wir sollten aufbrechen, schließlich haben wir noch ein Stück des Weges vor uns. Das breite Schotterband vor uns frohlockt und es geht ein ganzes Stück eben, locker dahin. Den Abzweig an der Y-Gabel sollte man nicht verpassen und links, dem vermeintlichen unscheinbaren Trampelpfad in Richtung Lago Fraele folgen. Aus dem Schotterweg wird nun ein Trail, der sich schlängelt und den Spieltrieb fördert. Was eben noch galt, gilt nun umso mehr. Die Landschaft ist die Wucht in Tüten. Auch auf die Gefahr hin mich zu wiederholen: einer der schönsten Plätze die man als Alpencrosser aufsuchen kann. Uneingeschränkt empfehlenswert. 110 Punkte (von 100 möglichen).
Wir trailen, surfen, grooven über die Wellen, auf und ab, links und rechts, steil und stet, frank und frei. Es ist eine Symphonie aus Harmonien und Zuckerstückchen, eine Hommage an das Lebensgefühl, ein einziger Exzess – im positiven Sinne! Aber so schön. Es gibt Rampen, die sich ganz kurz aufbäumen, lenkerbreite Abschnitte die unfahrbar scheinen, alles in allem aber ist es ein einziger fortwährender Traum der Vorwärtsbewegung bis wir am Lago Fraele rauskommen um ein weiteres phantastisches Fotomotiv vor unserem Lenker zu haben. Ich könnte mir vorstellen, es gibt Kreaturen, die beschweren sich bei der Reiseleitung, weil dieser Streckenabschnitt „zu schön“ und somit unfassbar ist. Miesepeterschlumpf, jetzt, biste sprachlos, wa?
Eine weitere kurze Pause und gemächliches Rollen am Stausee entlang, ab und an ein Foto, stet jedoch der „Klick“ im „Hirn“ und die Abspeicherung gemeinsam mit dem Attribut „wertvolle Momente“. Ein sagenhafter Tag, eine echte Königsetappe.
Wir verlassen die imposante Staumauer und steuern auf die nächste Attraktion zu: ein kleine Ruine am Rande des Weges, eine Passstrasse und die vor uns liegende Abfahrt offenbaren neue Glückshormone, die jedoch nicht allzu lang ausgestoßen werden, weil schon an der nächsten Kehre wieder abrupt Schluss mit Abfahrt ist und wir nunmehr auf einer Höhe von ca. 2000m für die nächsten 20 Kilometer sorgenfrei auf der Ebene dahin gleiten dürfen. Nur gelegentliche Kurbelumdrehungen und der Fünf-Sterne-Wertung des heutigen Tages steht bislang nichts mehr im Wege. Denkste.
Nach schier unendlichen 35 Kilometer Horizontal-Flug (Val Mora bis Arnoga) münden wir bei ca. Gesamt-Kilometerstand 305 in Arnoga. So, die Herren, der Spaß hat nun ein Ende. Es geht hoch. Übelst.
Passo Verva lautet der Miesepeter und der stellt sich uns in den Weg, als ob es was zu verteidigen gebe. Es scheint, als ob er uns nicht „rüberlassen“ will. Steilst die Rampen gleich zu Beginn, grob der Schotter in der Folge. Eklig. So etwas macht man nicht, zumindest nicht, wenn man frisch dem euphorischen Jung-Brunnen entstiegen ist und an Wörter wie „Bergwertung“ nicht einmal einen Gedankensplitter verschwenden würde. Tja, würde. Würde ist aber nicht, vielmehr ist nun Kampf angesagt. Jener legendäre gegen Detlef. „Reiß dich zusammen. Fahr da hoch“, sag ich zu mir. Mühsam wäre zutreffend, nur der Höhenmesser offenbart das bevorstehende Ende der Qual. Passo Verva. 2301m. Im gleißenden Lichte der Abendsonne schlagen wir am Passkreuz an. Geht doch.
Tagesziel erreicht. 77 Kilometer in der Tasche und nun „nur“ noch 20 Kilometer Downhill. Stolz-Gugg-Modus-on. Der erste Teil der Abfahrt ist jedoch beschwerlich und unwegsam. Grobes Geläuf erschwert ein sorgenfreies Gleiten, Bremsen und Gabeln müssen Schwerstarbeit verrichten, ab Eita jedoch hat der liebe Herr Gott geteert und somit lassen wir es dem Straßenverlauf angemessen kacheln. Abfahrts-Adrenalin-Punkte-sammeln. Unbeschreiblich, lieber Leser: einfach mal Augen schließen und ein paar lange Minuten virtuell lang laufen lassen …..
Wrrrrummm. Grosio. Zielflughafen erreicht. 19h, aber erreicht. Man erwartet uns bereits. Der Kellner nimmt uns die Deuters aus der Hand, regelt den Straßenverkehr und die Bike-Garage und – Widerrede gibt es nicht – lädt uns sogleich in den Aufzug nach oben. Während wir im schmalen Korb nach oben liften erfahren wir, dass im 5. Stock eine Emotional-Dusche installiert ist. Was immer er damit meint. Wir bevorzugen im Moment ein Radler auf der Hotelterrasse und wollen anschließend unserem Hunger nachgeben.
Das Abendmahl hält was die Emotional-Dusche versprochen hätte. Wir speisen mehrgängig und auf höchstem Niveau. Das Lokal ist rappevoll und wir senden ein Stoßgebet mitsamt Dank nach S-Charl für die perfekte Vermittlung. Wir kredenzen wie die Könige.
Adresse des Tages: Hotel Ristorante Jim Sassella, Jim Pini, Via Roma 2, I 23033 Grosio (SO), 0031 0342 84 72 72, Fax 0031 0342 84 75 50, jim@hotelsassella.it, www.hotelsassella.it
Erkenntnis des Tages: Schön, schöner, Val Mora. So ist das!
Tag6 – Der “Glückshormon-Asphalt-Schrubber-Tag“
Grosio – Passo della Foppa – Monno Edolo – Vezza di Oglio – Ponti di Legno – Passo Tonale – Stavel – Ossana – Dimaro (2276hm / 90km / 6:06h Fz)
Frische Flaschen stehen in unserem Zimmer, die Wäsche hing an der Türe und ist frisch gewaschen, es duftet nach italienischem Lenor. Das Kraftfutter erhalten wir unten. Frühstückszeit und perfekter Service bei Jim. Unsere Tanks sind gefüllt, Stimmung gut, Startschuss. Abfahrt. Die nächsten 89 Kilometer wollen ausradiert werden.
Durch die Altstadt von Grosio geht es ortsauswärts. Ein paar Kilometer und wir stehen an einer unscheinbaren schmalen Strasse, die uns nun auf den Passo della Foppa führen wird. Die Sonne strahlt, die Temperaturen sind italienisch sommerlich. Ich aktiviere meinen iPod: plobb links, plobb rechts. Die Ohrstöpsel sitzen. Einmal auf Play und nun kurbeln.
Woran es genau liegt konnte ich später nicht mehr sagen. Mit einmal war mein Turbo aktiviert. Wie Rückenwind. War es der satte gute Sound im Ohr, war es gar Rückenwind (bergauf, haha), war es die stet gleichbleibende, aber niemals wirklich garstige, Steigung, war es der Asphalt oder die gelegentlichen schönen Ausblicke. Ich hab den Tiger im Tank. Meine Maschine zieht es nahezu schwerelos nach oben, meine Schenkel rotieren gleichmäßig, der Kopf ist frei. Wäre ich ein Mofa, würde ich ordentlich rattern, aber so surren nur meine Nobby Nics über den Asphalt und, Freunde, ich sags Euch, es ist herrlich. Die 1100 Höhenmeter auf der 14 Kilometer langen Strecke vergehen wie im Flug, oben auf 1851m klatschen wir uns glücklich grinsend ab. Yeah, we´ve made it. Nix spektakuläres, aber die Startetappe des heutigen Tages war so geschmeidig wie ein Stück Seife. Weit unter 2 Stunden hab ich für den Anstieg gebraucht, ich fühl mich Honigkuchenpferd-ähnlich. By the way, was auch gesagt werden muss: das Panorama hier am Passo della Foppa ist ebenfalls nicht von schlechter Qualität. Weit reicht der Blick bis hinüber auf die schneebedeckten Schweizer Berge. Wir gönnen uns einen Riegel und fühlen uns schlichtweg unbezwingbar.
Genug verherrlicht – es geht wieder talwärts. „Werner, gib Gummi“. Wir lassen die Pneus laufen, gelegentlich der eine oder andere Vernunft-Bremser, schließlich gilt im Zweifelsfalle „Sicherheit vor Wagnis“. Diese wunderbare Abfahrt spuckt uns an einer Hauptstrasse, die Richtung Ponte di Legno führt, wieder aus.
„So, Werner, lass knacken, wir fräsen noch mal eine Spur in den Asphalt, ich hab ein gutes Gefühl und noch genügend Reserven auf meinem iPod und in den Wadeln“, frohlocke ich grinsend und drehe schon an meinem nicht vorhandenen Gasgriff am Syntace Lenker.
Ok, nun nehmen wir den Weg zum Passo Tonale in Angriff, ebenfalls keine Rampe, sondern schlicht ein Teerbandwurm, der direkt auf 1884m führt ins Skigebiet beim Passo Paradiso führt. Plobb links, plobb rechts und dahin geht’s. Kein einziges Sandkorn im Getriebe, meine Kette schnurrt wie Katze Marianne beim abendlichen kampfkuscheln, die Herzfrequenz ist im löblichen Fettverbrennungsbereich, die Schweißperlen suchen sich ihren eigenen Bachlauf – so muss es der Made im Speck gehen. Wunderbar.
Selbstredend, dass wir oben eine ausgiebige Rast und ein Sonnenbad nehmen, bevor wir das Finale dieses Tages hinunter nach Dimaro einleiten.
Statt der schicken Straßenabfahrt entscheiden wir uns, genug geteert heute, für den Schotter- und Wanderweg abseits der Hauptstraße hinunter bis nach Ossana. Der ist etwas ruppig und er bietet auch immer wieder kleine Stiche, die keinen Übermut aufkommen lassen, dennoch es geht uns bestens.
Adresse des Tages: Cafe Residenza
Kaiserkrone, Piazza G.Serra 3, 38025 – Dimaro,
Trento – Italy, Telefono: +39 0463
973326, Fax +39 0463 446404, info@kaiserkronedimaro.com, http://www.kaiserkronedimaro.com/index.php
Erkenntnis des Tages: Das beste Kettenöl: gute, satte Mucke im Ohr.
Tag7 – Der „Xing-Cross-Treffer-Tag“
Dimaro – Malga Mondifra – Mad.di Campiglio – Lago Movlina – Passo Bregn da l´Ors – Albergo Brenta – Stenico – Ponte Arche (1948hm / 61km / 5:03h Fz)
So langsam macht sich der Magnet schon wieder bemerkbar. Der Lago ruft. Er schickt seine Vorboten. Es zieht mich magisch an. Wir verlassen nach einem typischen italienischen Zwieback Frühstück den Ort, schrauben uns durch den schattigen Wald den Berg hinauf, und nach einer guten Weile landen wir, wohlig matt, an berühmten Jausenstation Malga Mondifra. Malga, der Stall ist hier eine Wirtschaft und eine Käserei mit angeschlossener Mini-Metzgerei. Werner und ich bestellen in stiller Übereinkunft zwei Dosen Limo und zwei Dosen Bier und mixen uns die Erfrischung selbst.
Während wir an der Hauswand lehnen, uns dem Wohltun hingeben, hören wir auf einmal Pferdehufe. Wir verzichten darauf in Winnetou-Manier die Ohren auf den weichen Boden zu legen, sondern halten Ausschau und siehe da: Alpencrosser zu Pferde rücken an. Was für ein Bild. Selbstredend, dass wir – wenn auch nur temporär – einmal die Rösser tauschen müssen und uns auf den Sattel, diesmal ein Stockwerk höher, schwingen. Cool so ein Horse-Cross.
Wir klopfen den Pferden gerade noch auf den Hals und und bereiten uns gedanklich schon wieder auf die andere Art von Sattel vor, da rückt eine weitere Gruppe Biker aus dem Wald heran. Meine Augen stellen scharf und ich ahne, dass die Akteure des TUMP-Cross im Anmarsch sind. Jene Gruppe, bestehend aus Timo, Uta, Max und Primin die über mein Xing-Alpencross-Forum zueinander gefunden haben. Ein ganz lauter Schrei „Tiiiiiiiimoooooo“ hallt durch die Luft und das Echo kommt unvermittelt: „UUUUUUUUUUUUdoooooooo“. Wir fallen uns in die Arme, die Freude ist groß, die (Crosser)-Welt so klein. Großes Hallo.
Max und Pirmin folgen und kurz darauf trifft auch Uta ein, wir bestellen nochmals, sehr zum Leidwesen der Wirtsleute, eine Runde. Max, leicht lädiert, hat es unterwegs wohl ordentlich versäbelt, Uta fühlt sich inmitten der drei Muskeltiere pudelwohl, Pirmin hat sein schelmisches Dauergrinsen noch nicht verloren und Timo strotzt vor Tatendrang. Alle vier sind AlpX-Erstlinge und bester Dinge. Es gibt so viel zu erzählen und so versteht es sich von selbst, dass wir die folgende Etappe bis Stenico gemeinsam bestreiten.
Kurz vor dem rauschenden Wasserfall beim Rif. Cascata gibt es noch einmal eine kleine Technikprüfung über einen Wurzeltrail, am Wasserfall legen wir einen Ministopp ein und machen Touri-Ultra-Kurzprogramm, genießen aber auch die Aussicht auf die unter uns liegende vierköpfige Bikini-Landschaft. Zwischenziel: der traumhaft gelegene Lago Movlina, an dem es natürlich unversäumbar ist, eine Rast einzulegen. Die Truppe, ja nun zu sechst, ist etwas langsamer unterwegs, logo, sechs Personen haben individuell einfach mehr Unterbrechungspotential wie zwei. Aber das kümmert uns wenig, wir befinden uns auf einem Alpencross und nicht inmitten der Frankfurter Rushhour. Der Movlina See, tausend Mal fotografiert, tausend Mal hat er nichts von seiner Schönheit verloren. Ein kleiner Traum, idyllisch gelegen, Postkarten-Motiv-trächtig. Der Rest des Weges zum Passo Bregn d´la Ors wird nun weniger erfreulich: Schieben ist angesagt, wenngleich in absehbarer Portionierung. Timo schält sich ganze blutige Hautlappen von der Ferse und entscheidet kurzerhand die Fußpassage ohne seine puristischen Rennschuhe zu absolvieren. Tja, als AlpX Neuling muss er seine Erfahrung selbst sammeln.
Die Hauptarbeit dieses Tages haben wir auch wieder hinter uns, nun gilt es nur noch abzufahren, wenngleich weniger Bein- dafür umso mehr Handarbeit gefragt ist. Die Bremsen werden für die kommenden 16 Kilometer sage und schreibe 1200 Höhenmeter wegbrennen und das teils auf grobem Untergrund. Konzentration wäre also von Vorteil. Wir rauschen in die Tiefe, jeder seinen Möglichkeiten entsprechend. Der Sinkflug wird jäh gestoppt: eine Kuhherde verstopft die Streckenführung. Hunderte Kühe trotten gemächlich talwärts, die wenigen (Hilfs)Kuhhirten haben scheinbar den Überblick verloren und fühlen sich in keinster Weise verantwortlich für „freie Fahrt“. Bevor Timo sich verzieht ist er mittendrin in der Herde, die zum Glück keinerlei Tendenzen einer „wilden Herde“ erkennen lässt. Wer sehen Helm und Hand und hoffen, er möge heil da raus kommen. Ich kassiere Strafpunkte: über die Steine muss man mit Gefühl, nicht mit voller Wucht am „Kuhrand“ auf Schleichwegen vorbei segeln. Das Ergebnis: erstmals seit langem wieder ein Plattfuß. Kurze Zeit später geht es dann aber weiter im Sturzflug. Pirmin ist nicht einzuholen. Scheinbar ausgestattet mit einer besonderen Verbindung zu Gottes Engel kachelt er die Kehren hinab. Wahrscheinlich hat er gesicherte Informationen, dass im Moment keine Autos unterwegs sind. Wir überlegen während wir seine Rückansicht entschwinden sehen, welches Hospital am günstigsten erreichbar ist und bremsen ein wenig für ihn im Geiste mit.
Sein Grinsen unten am Ende dieser Wahnsinnsabfahrt verrät uns, dass wohl niemand sonst unterwegs gewesen sein muss. Glück gehabt, mein Freund. Aber vielleicht liegt es daran, dass er heute Geburtstag hat – da passiert „so was“ einfach nicht.
Nochmals geht es für uns nun ca. 250 Höhenmeter bergab und nach einiger Irrfahrt durch Ponte Arche finden auch wir unsere Luxusherberge, das Hotel Flora. Wir checken um Punkt 20.55h ein und sind natürlich entsprechend ausgehungert. Der etwas irritierte Portier dieses vornehmen Etablissements verrät uns in bestem Deutsch: „meine Herrschaften, die Küche schließt um 21 Uhr“ Auweia. Duschen im Schweinsgalopp. Wir landen schweißgebadet am Tisch Nr. 14 und geben gegen 21.04 die Bestellung auf, woraufhin der Ober entschwindet um zu prüfen ob es noch etwas gebe. Wenn es nix gegeben hätte, wäre am Tag darauf wohl in der Ponte-Arche Tageszeitung eine wenig charmante Meldung die Schlagzeile des Tages gewesen, doch wir haben Glück und erhalten eine vollwertige Mahlzeit sowie ausreichend Bier. Morgen ist Lago-Day. Yeah.
Adresse des Tages: Hotel Flora, Localitá Maso Da Pont1, 38077 Ponte Arche (TN), +39 0465 701549, Fax +39 0465 702 488, info@hotelfloracomano.it, www.hotelfloracomano.it
Erkenntnis des Tages: Das Glück dieser Erde liegt mitunter auf dem Rücken der Pferde.
Tag8 – Der „Stechmücken-Plage-Tag“
Ponte Arche – Campo Lomaso – Lundo – Dasindo – Rif.St.Pietro – Mücken-Wiese – Volta di No – Varignano – !!! RIVA !!!! (571hm / 25km / ca 2h ohne Mückenkampf)
Lago wir kommen. Niemand hält uns davon ab. Oder etwa doch? Nach einem anständigen Frühstück geht es auf die kleine Endspurtetappe, nachdem wir in den Tagen zuvor unseren Alpencross-Teller immer brav aufgegessen, unsere Kilo-und Höhenmeter-Hausaufgaben alle ordentlich erledigt haben und voll im Plan liegen, darf es an diesem letzten Tag etwas nachlässiger sein: sage und schreibe knapp 30 Kilometer und ganze 571 Höhenmeter stehen auf dem Programm. Ein Klacks. Nichts hält uns mehr auf. Oder etwa doch?
Wir steigen entsprechend motiviert auf unsere Bikes, die Wetterlage ist dampfig schwülwarm. Ein Wärmegewitter wäre nichts allzu überraschendes. Feuchtigkeit gepaart mit Sonne und ein paar Wolken haben sich bereits zusammengerottet, dazu gesellt sich weitgehend trügerische Windstille.
Bis zum traumhaft auf einer Anhöhe gelegenen Lomaso geht alles gut, aber irgendwie scheint der für den Bereich Gardasee zuständige Wettergott etwas im Schilde zu führen. Die bis dato am letzten Tage stets stabile Schönwetterlage (am Lago regnet es doch nicht, wenn man ankommt! Phhh) gerät ins Wanken. Sowohl Roadbook als auch unser GPS Gerät bestätigen jedoch unsere Routenwahl. Es beginnt zunächst scheinbar harmlos. Diese eine Mücke, oder war es gar eine lästige Fliege, wollte sich an mir gütlich tun. Ein Klatscher und die Sache scheint erledigt. Dachte ich. Niemand hält uns ab – oder etwa doch?
Ein Überrollkommando ist ein Scheißdreck dagegen. Als ob sich die Biester abgesprochen hätten, summssen auf einmal alle (ich schätze: tausende und ein paar mehr) auf uns los. Wollen die uns verspeisen? Wir sind mittendrin statt nur dabei. Summmsssss summssss summsss, klatsch, klatsch, klatsch. Soviel kannst du gar nicht klatschen, wie die dich stechen wollen. Unsere schweißnassen Schenkel scheinen appetitlich zu sein, die schwülwarme Luft besonders anregend für diese Scheißviecher, ich wiederhole: Scheißviecher !!! Es geht bergan, auf weicher Wiese und wir kurbeln als ob wir um unser Leben fahren, transpirieren natürlich noch mal eine Klasse besser. Eine Traumkombination. Das ist quasi wie Schlagsahne obendrauf für diese Mistdinger. Ich sag ja immer: Nur eine tote Mücke ist eine gute Mücke. Summmss summmss ….. „Ey … Wöörnnnnnnnnnnnner …..!“
Der hört mich nicht, hat sich ergeben oder – nein – auf seine ihm so bewundernswert stoische Art den Stechern den Kampf angesagt: er zieht sich um. Richtig. Volle Imkermontur. Regenhose, Regenjacke, Kapuze, das volle Programm. Es ist ja nicht schon warm genug.
Und weil jeder so einen Wahnsinn auf seine ganz eigene Art erlebt, ich bei der Lektüre von Werners Aufzeichnungen herzhaft lachen musste, hier ein Ausriss aus den Tagebüchern des Werner Götte aus H.:
Es gibt eben Hindernisse, die sich nicht in Länge oder Höhe beschreiben lassen und sogar „unfassbar“ sein können. Das Wetter hält sich nicht an den Plan. Es ist feucht, warm, dampfig, schwül. Der Unterschied zu einem echten Dampfbad besteht nur darin, dass man sich reinsetzt und nicht mit dem Rad durchfährt. Ich muss an die schräge Dschungel-Lady denken, die wir 2008 am Tuxer Joch getroffen haben (Anm.der Red.: Tour 2, Band1). „Ich bin schon im Dschungel gefahren“ hatte sie erzählt, „in tiefem Schlamm“. Na das fehlt noch Während ich so vor mich hinträume, fangen die Tropfen, die mir an den Waden herunterlaufen, an zu nerven. Irgendwie kitzelt oder juckt es. Ich streife mir im Fahren mit den Handschuhen über die Waden, aber das Jucken wird immer schlimmer. Ein flüchtiger Blick nach unten offenbart mir einen befremdlichen Anblick. Meine Waden sind übersäht mit Stechmücken! Halloo?? Was soll das jetzt? Aggressive Mistviecher! Jetzt anhalten und ich stehe mittendrin, also Weiterfahren. Abwechselnd eine Hand am Lenker und eine an den Waden zum Mückenabstreifen. Also wenn mich was nerven kann, dann so blöde zu nichts nützende Stechmücken, die auf wehrlose Biker losgehen bzw. –fliegen. Aber es sollte noch ganz anders kommen. Kurz vorm Waldrand dann der Supergau. Wir werden überfallen. Geht’s noch? Eine Horde Fremder stürzt auf uns zu. Klein und schwarz wie Italiener, nur noch viel kleiner und unzählig viele. Die Insektenfalle schnappt zu und wir stehen in einer schwarzen Wolke aus Tausenden surrenden Moskitos, die im Kamikaze-Angriff auf uns los gehen und nichts anderes im Sinn haben, als uns zu vernichten. So nicht! Udo flüchtet in den Wald. Ich werfe alles hin und versuche, mir die Regensachen inkl. Regenhaube über zu ziehen. In dieser Hitze. Die aggressiven Viecher kommen in jede Ritze und stechen in jeden unbedeckten Quadratzentimeter Haut. Vielleicht versagte mein Deo? Welches Deo? Ich hatte mich heute Vormittag schon gewundert, dass noch keine bzw. wann wohl die ersten „Riva-Tunnelblick-Track-ist-mir-egal-Zieleinlauf-Touroptimierungs-Ich-will-meinen-Eisbecher-Attacken“ von Udo einsetzen. Genau jetzt! Bisher war es um dieses Thema sehr ruhig.
Soweit der O-Ton von Freund Werner, der eindrucksvoll schildert, wie so kleine Scheißviecher große Wirkung verursachen können. Hat man so was schon erlebt. Ich rate also bei schwülwarmer Wetterlage von der Streckenführung über St. Pietro entschieden ab, oder empfehle im Zweifel ein frühmorgendliches Vollbad in handelsüblichen Mückenschutzmitteln. Mann, Mann, Mann .
Ein kleiner Exkurs hierzu: Ei, Larve, Puppe und Mücke – so verläuft der Entwicklungszyklus der Blutsauger. Dafür benötigt das Insekt – je nach Art – nur wenige Tage oder ein paar Wochen. Vor allem die Weibchen brauchen Blutmahlzeiten, um Eier legen zu können. Die Männchen stechen je nach Gattung seltener und begnügen sich vor allem mit Pflanzennektar. Ha ! Was lernen wir daraus: uns sind tausende (Mücken)Weiber nachgeflogen und wollten nur unser bestes: unser Blut zum Eierlegen. Eklig.
Wir kommen halbwegs heil aus der Nummer raus, Werner ist inwändig zwar klatschenass, die eine oder andere Juckstelle blutet heldenhaft und wir haben zumindest insofern Gewissheit, als das uns heute kein Buckel und keine Wiesenlandschaft mehr im Weg steht. Alles wird gut.
Nun entwickelt sich, die eine Sorge sind wir schließlich los, so langsam der von Werner so gefürchtete Udo-Tunnelblick. Ich will zu meinem Lago. Doch vor dem Anschlag am Hafenbecken hat der Routenplaner noch eine wahrhaft unschöne Steinabfahrt gesetzt, Was früher wohl ein Bachbett war, ist nun von Sonderlingen als besonders schöne Trailübung auserkoren worden. Über moosbewachsene, und aufgrund der vorhandenen Feuchtigkeit gut glitschige, Steine soll fahren wer will. Ich nicht. Ich will ankommen und nicht auf den letzten Metern meine Schneidezähne am Garda-Kies schleifen. Werner tut es mir nach.
Als wir durch dieses Nadelöhr durch sind, folgt nur noch ein kleiner Schotterweg und schon offenbart sich der See der Crosser in seiner ganzen Pracht vor uns. Ein Stoßgebet nach oben. „Mensch, Werner, komm, mach hinne ….“ Werner kennt das schon, lässt sich aber nicht irritieren, und entsorgt erstmal seine Regenkombi, die im Moment auch einen etwas seltsamen optischen Gesamteindruck hinterlässt.
Freunde, was soll ich Euch sagen: die letzten Kilometer sind Routine, weder Gesäß noch Muskulatur rebelliert, der Kopf ist auf einen Moment fixiert der bald kommen wird. ES muss der ersehnte Schlusspfiff sein in einem WM Finale, in dem man 1:0 führt und im Ballbesitz ist, nur noch wenige Minuten zu spielen. Ballhalten ist die Devise.
Riva ! Bon journo bella Riva. Wie geht es Dir? Du hast uns schon mal mit einem schöneren Lächeln am Himmel empfangen, aber das macht nichts. Selbst wenn es jetzt (!) Ziegelsteine regnen würde, es würden dem Moment nichts anhaben. Wie sang einst Whitney bei der WM „One moment in time“
Give me one moment in time,
when I’m more than I thought I could be,
when all of my dreams are a heart-beat away
and the answers are all up to me.
Give me one moment in time,
when I’m racing with destiny,
then, in that one moment of time,
I will feel, I will feel eternity.
Yeah,
Thats it. Genau das ist es. Dem ist „im Moment“ auch nichts hinzuzufügen. Wir sind angekommen. Gimme five: Werner, alter Stechmückenjäger.
Adresse des Tages: Santoni Freestyle Hote, Via Strada Granda, 2, 38069 Torbole sul Garda (TN), 0039 0464 505 966, www.hotelsantoni.com
Erkenntnis des Tages: Wenn tausende Weibchen auf der Suche nach DIR sind, empfiehlt es sich, etliche Kilometer vorher, einen Vollgummioverall anzulegen.
Fazit:
Sieht man einmal vondiesen Scheißviechern ab, bleibt das Gefühl des Stolz, der Genuss der Sinne, der Nachhall der Momente. Alpencross beginnt spätestens 10 Minuten nach der Abfahrt und endet wirklich endgültig erst mit dem eigenen Ableben! In dieser Woche und auch in den unzähligen (so Gott will) Jahren danach setzen sich intravenös mikrofeine Minimakro Organismen in den Zwischenräumen Deiner zig-Millionen Zellen fest. Sie sind zuständig für Glückhormone, für Endorphine, für Adrenalin und für die Geschichte, die DU während und nach einem Alpencross Dir, Deinen Freunden und (so Gott will) auch Deinen Enkeln einmal erzählen kannst. Was soll Euch das sagen? Alpencross ist crossartig, AlpenX ist Freiheit und Freiheit ist ein wertvolles Gut. In diesem Sinne: danke auch für diesen einen schönen, phantastischen, wunderbaren Cross, die Zeit die wir erleben durften und den damit verbundenen Nachhall der bisweilen andauert.
Epilog
Wer nun glaubt, der Cross sei beendet, der irrt.
Nicht nur, dass in aller Herrgottsfrühe der übliche Ritt nach Rovereto zu erfolgen hat, sprich: sich aus dem Hotel stehlen, den randvollen Rucksack (Geschenke) noch mit einem Lunchpaket vollstopfen und dann dem Biorhythmus völlig widersprechend ca. 22 Kilometer bergan strampeln.
Das allein, wenn es nur wäre. Aber da ist noch die italienische Bahnlogik, die verstehe wer mag. Wohl ist es möglich in Deutschland ein Ticket für einen Zug um 7.47h zu reservieren, auch kann man sich ein extra schönes Bike-Billet ausdrucken lassen. Werner, alter Bahnfahrer und Bahncardbesitzer hat da professorale Erfahrungen auf diesem Gebiet. Alles scheint gebongt.
Denkste. Der Zug fährt ein. Am Bahnsteig warten weitere ca. 50 Biker mit Sack und Pack. Alle wollen mit. Der Schaffner wiegelt jedoch ab: „Keine Fahrradmitnahme!“ heißt es kurz und bündig. „Wie jezz?“ „Keine Fahrräder – auf dieser Linie gibt es kein Fahrradabteil, erst wieder um 8.47h, aber nur bis Brennero.“ Hallo?
Wir überlegen, ob wir ihn erst beleidigen oder gleich umbringen sollen, feilschen, fluchen, flaxen. Nichts hilft. Der Kerl ist so stur wie ein italienischer Esel, bloß er ist im Zug und wir auf dem Bahnsteig. Ein kurzer Pfiff aus der Trillerpfeife des Esels und die Entscheidung nun mit Gewalt mit geschultertem Bike in die leeren Abteile zu stürmen wird uns abgenommen, da der Zug nun langsam den Bahnsteig verlässt. Ohne uns.
50 Biker stehen da und gucken wie die Ölgötzen. Was für ein Bild. Jeder hat ein dickes großes Fragezeichen im Gesicht. Die Rechnerei fängt an: „wenn wir also um soundsoviel Uhr am Brenner sind, wann geht dann der Anschlusszug nach Innsbruck und schaffen wir dann den Zug nach Rosenheim noch so paßgenau, dass wir zumindest noch 5 Minuten lang unsere Kinder sehen können, die dort am Busbahnhof für die nächsten 10 Tage auf Zeltlager fahren werden? Handys werden aktiviert, Schimpfworte hängen unausgesprochen in der Luft. Aber es sollte noch besser kommen.
8.47h. Der italienische Bummelzug fährt ein, alle Biker stürmen den völlig überladenen Treno und biwakieren zwischen Gang und Klosett. Elend lange Zeit später sind wir gegen ca. 12h am Brennero. Alles gut? Nix gut.
Der dortige Schaffner souffliert uns mit Unschuldsmiene, dass der Schienenverkehr baustellenbedingt eingestellt ist und wir – sofern wir keine Räder haben ! – gerne mit dem „Schienenersatzverkehr“ fahren können, sprich Bus. Ey.
Die Uhr tickt. In Innsbruck weiß niemand, dass wir nach Hause wollen. Es bleibt keine Zeit nachzudenken. Werner und ich gucken uns an, und stillschweigend ist die Sache klar. 45 Kilometer in weniger als einer Stunde. „Komm Udo, das schaffen wir“. Rauf auf den Bock, und ab wie der Sauseblitz. Ein Glück für den Schaffner, der wäre um ein Haar auch geteert, gefedert und aus dem Bahnhof gejagt worden.
Wir steigen in die Pedale. Im Wortsinne. Es geht abwärts … wir lassen es laufen und schieben mächtig an. Eigentlich sollte dies der Erholungstag vor Cross 2009/II werden, aber ich transpiriere aus allen Poren, die Schenkel glühen. Wir geben Gummi.
44 Minuten später stehen wir hechelnd mit blinkender Pulsuhr am österreichischen Bahnsteig, hetzen die Unterführung hinunter und springen auf den ganz zaghaft sich warmlaufenden Zug. Last minute. Puh. So eine Hektik.
Unnötig zu erwähnen, dass auch dieser Zug natürlich seinen Teil tut, um erst gar keine Entspannung aufkommen zu lassen. Ein Halt hier, ein Haltesignal dort, trödelige Schaffner, was man halt so hat. Die Hatz (wieder rauf aufs Bike) durch die Rosenheimer Innenstadt überleben wir unfallfrei, wenngleich nur der Umstand, dass wir keine amtlichen Kennzeichen am Bike haben, verhindert, dass wir angezeigt werden. Wir haben bei der Ankunft am Busbahnhof ca. 15min Verspätung und sehen nicht einmal mehr die Rücklichter des Busses, in dem unsere 4 Kinder sitzen, von denen wir so langsam nicht mehr wissen, wie sie aussehen, haben wir sie doch lange nicht mehr gesehen.
Wir schwitzen. Keine Kinder. Dafür aber zwei kopfschüttelnde, wenngleich schmunzelnde Ehefrauen. Mir bleiben ganze 14 Stunden Zeit. Der Rucksack muss ent- und wieder bepackt, das Pferd gewechselt und der Kopf neu eingenordet werden. Morgen in der Früh um 6.27h geht wieder ein neuer Zug in ein neues Abenteuer. Wie heißt es so schön: nach dem Cross ist vor dem Cross. Dem kommt eben eine völlig neue Bedeutung zu.
*** Ende Cross 2009, der erster ++++ der zweite folgt zugleich …
Trackbacks/Pingbacks