Eine besondere Reise über die Alpen
Wenn der Vater mit dem Sohne, das war schon bei Heinz Rühmann etwas Besonderes. Die Idee entstand 2009 während einer Wandertour. Je weiter wir in den Berg stiegen, desto konkreter wurde der Gedanke: „Wenn Du 15 bist, dann ist das ein guter Zeitpunkt, vorausgesetzt, Du bleibst am Ball bzw. fleißig am biken“. So wurde oben am Gipfel besiegelt und beschlossen: „Patrick, 2012, wir fahren einen Papa-Sohn Alpencross. In Riva gibt es den berühmten Eisbecher als Belohnung“.
Eine Route war schnell gefunden, sogar optional – für den Fall der Fälle – ein paar sogenannte „Chicken Ways“ in die Planung mit aufgenommen. Falls der junge Mann die weiße Fahne hießen sollten. Es sollte anders kommen.
Tag 1 / Bayrischzell – Buchackeralm – Bruck im Ziller – Stumm / 67km / 805hm
Ich erwache. Klatschnass. T-Shirt, Bettdecke und Laken sind ebenfalls durchnässt. Igitt. Das ist nun die vierte Nacht in folge so und meine drei Globuli Lykopodium helfen seit Dienstag beim Kampf gegen die latent vorhandene Sommergrippe. Nun muss ich es halt rausschwitzen. Mein Gesamtzustand ist entsprechend leicht angeschlagen. Patrick selbst hat wohl ordentlich Respekt vor den kommenden Tagen, er sagt nicht viel.
Bayrischzell, das romantisch zwischen zwei steilaufragenden Bergflanken gelegene bayrische Dorf ist unser Ausgangspunkt. Der Cross 2012, ist eröffnet, mögen wir gut und wohlbehalten in Riva ankommen. Möge meine Grippe sich verzupfen.
Es geht gemütlich los: Waldweg, Schotterpfad, kaum Anstiege, so kann es bleiben. Aufgrund meiner nächtlichen Schwitzeskapaden, haben wir bereits gestern beschlossen, schon den ersten Joker zu ziehen. 2100 Höhenmeter wären (mir!) wohl doch etwas zu viel. Ich spüre bereits die ersten 600 Höhenmeter deutlich und als wir nach einer Weile den ersten Peak unterhalb der Buchackeralm erreicht haben, bin ich über diese Entscheidung alles andere als unglücklich. Nun geht es deftig hinab, enge Spitzkehren, loser Schotter und sehr, sehr steil ins Tal nach Embach ins Hasatal. Mit kontrolliertem Puls waren die ersten 35km gut fahrbar, aber ich spüre die vergangenen Nächte deutlich. Patrick hält sich wacker und er verrät mir sogar: „Papa, ich hab schon jetzt ein Kribbeln im Bauch!“ „Warum?“ frage ich überrascht zurück. „Na, weil wir alpencrossen, cool ist das“. Schön.
Die Route führt flach am Inn entlang und zweigt ab ins Zillertal, bis nach Stumm im Ziller. Wir wählen den Radweg und just fängt es flankierend zu dem bitterbösen Donnergrollen über uns, richtig kräftig an zu regnen. Die gesamte Regenkombi wird hervorgeholt, von schlechter Laune keine Spur. Leichter Gegenwind kommt hinzu, aber zum Glück scheint der gröbste Sturm schon vorüber. Zweige, Äste, Gehölz und allerlei Blattwerk liegen bereits am Boden. Weiter im Süden wird schon wieder leichter blauer Himmel sichtbar.
So vergeht der erste Tag locker und leicht, einige Tropfen kommen und gehen. Endstation Stumm im Ziller. Einkehr. Check in. Wunden lecken. Wie ich morgen die knapp 2000hm über das Pfitscher Joch schaffen will, weiß ich noch nicht so ganz genau.
Tag 2 – Stumm im Ziller – Schlegeisspeicher – Pfitscherjoch – St. Jakob / 68km / 1600hm
Wir starten wohlgelaunt, haben jedoch den ersten kräftigen Regenguss vorüberziehen lassen. Unsere Laune lässt sich vom Wetter nicht beeindrucken, Patrick ist unbeeindruckt. Etappenziel Nr. 1: die alte Schlegeisspeicher Strasse, noch 22km bis zur imposanten Staumauer. Es geht zügig voran, Kehre um Kehre erkämpfen wir uns die Höhe und die Strecke. Als ein 4er Team (3 Männer, eine Frau) sich anschickt uns zu überholen, lässt sich Patrick nicht 2x bitten, und beißt sich am Hinterrad der Alpencrosser fest und lässt auch bis zur Mautstelle nicht locker. Chapeau. Die 4 Crosser aus Garmisch haben in Stein gemeißelte Wadeln und sind gut drauf, umso mehr staunen sie, als sie das Alter von Patrick erfahren. Die letzten Meter werden – vor allem für mich – zum Kampf.
Nach kurzer Rast, kommt eigentliche Herausforderung. Das Pfitscher Joch. Der Himmel hat aufgerissen, bestes Panorama empfängt uns. Wunderbar, das haben wir uns auch redlich verdient. Wir steigen ein. Zunächst ist noch alles fahrbar, doch mit jedem weiteren Meter wird die Strecke verblockter und unwegsamer, die Vorwärtsbewegung zur fahrtechnischen Herausforderung. Patrick kämpft sich wacker vorwärts. So geht der Weg hinauf dahin, die Kulisse ist einzigartig und fantastisch. Ein Traum, eine Komposition, Natur satt, alpines Allerlei, wunderbar. Wilder Bach, Wasserfälle, aufragende Felsen, sattes Grün, blauer Himmel, Trampelpfad, Steigungen, Steine, Rampen, all das begleitet uns auf dem Weg nach oben. Ich finde mein Tempo, muss aber doch ordentlich schnaufen und husten. Kurz vor dem Haus erbarmt sich Patrick meiner und bietet mir an „mein Rad zu schieben“. Geht ja gar nicht. Dann endlich ist es geschafft, wir sind am Pfitscher Joch Haus, der Höhenmesser zeigt 2246m. Der Wind pfeift mächtig, es ist kalt, und dennoch: Ziel erreicht, das kann uns keiner nehmen. Wir genießen den Powerriegel und die Aussicht und auch anschließende Abfahrt hinunter ins Tal bis zu den Pforten unseres Hotels. Der Appetit ist groß und der anschließende Tiefschlaf von wohltuender Wirkung.
Tag 3 – St. Jakob – Sterzing – Jaufenpass – Dorf im Tirol / 80km / 1600hm
Der Tag beginnt mit einer Abfahrt hinunter bis nach Sterzing, das mag unanstrengend klingen und trotzdem gönnen wir uns auf dem berühmten Marktplatz erst einmal eine kleine Rast bevor es den langen Anstieg hinauf zum Jaufenpaß zu bewältigen gilt. Mit Walkman im Ohr begehen Vater und Sohn die Passstraße. Jeder in seinem Tempo, Patrick vielleicht eine halbe Kurbelumdrehung schneller. Mit zehn Minuten Rückstand erreiche ich den Gipfel, mittlerweile hat der Wind böser aufgefrischt, starker Regen kündigt sich an. Kaum ist die Apfelschorle getrunken, der Kuchen vertilgt, kachelt es vor der kleinen Jaufenpaß-Hütte wie aus Kübeln. Wir vermummen uns und üben Sinkflug. Dies hat den Effekt, dass die Dusche von oben und unten gleichermaßen stark kommt. Die Moral ist ungebrochen, auch als ich nahe eines Supermarktes unser Team zum Unterstand „zwinge“, bekomme ich nur zu hören „lass uns doch weiterfahren, eh schon egal“. Zuerst entleere ich jedoch meine Schuhe vom Pegelstand des Regenwassers und wringe die Socken aus. Die letzten Höhenmeter zum allerletzten Haus in Dorf i. Tirol bewältigen wir gemeinsam, wenngleich mit unterschiedlicher Entschlossenheit. Patrick fühlt sich bestens.
Tag 4 – Dorf im Tirol – St. Pankraz / 24km / 500hm
Meine Bronchien sind angegriffen, Patrick wohlauf. Und trotzdem nicht unglücklich über unseren Beschluss die heutige Etappe ohne die Naturnser Alm zu planen. Das heißt nur 500 anstatt der geplanten 2133 Höhenmeter. Mir (oder vielmehr meinem inneren Schweinehund) sollte es Recht sein, doch gelegentlich sagt die Stimme in mir: „Schlappschwanz“. So durchqueren wir Meran, nehmen den Teeranstieg durch das Ultental auf einem Reifen locker mit und sind bereits Mittag im Wellness Hotel in St.Pankraz. Swimming Pool, Sauna, Dampfbad, was Mann halt so braucht.
Tag 5 – St.Pankraz – Castrinalm – Breznerjoch – Cles / 60km / 1800 hm
Königsetappe. Beim Abzweig am Lago di Zoccolo geht es in den Berg hinein, dieses Mal kämpfen wir auf Augenhöhe den Schotterweg bis zur Castrinalm hinauf. Der stete Anstieg kostet Körner, die Rast mit einem alkoholfreien Bier ist dafür umso ausgiebiger. Nun wird es kernig und der Weg wird zum Pfad. Über Stock und Stein, durch Schlammlöcher und über umgestürzte Bäume geht es unwegsam vorwärts, die Trails sind jedoch vom Feinsten und Patrick zeigt null Respekt vor den Schwierigkeitsgraden. Hut ab. Über das Brezner Joch und das Clozner Jöchl geht es hinunter nach Cagno und von dort über die imposante Brücke weiter zum Endziel Cles. Einmal mehr warte ich auf Erschöpfungsmeldungen. Es kommen keine.
Tag 6 – Cles – Andalo – Movleno / 46km / 1250 hm
Über die Transalp-Rennroute geht es heute nach Tuenno, Lover, Termon weiter vorbei an den Apfelplantagen bis nach Spormaggiore, bevor der Buckel kommt, der uns mächtig fordern sollte. Rampen bis über 20% verlangen von Sohn und Vater alles ab, vom Vater noch etwas mehr. Während der Sohn wie vom Seil gezogen seine Spur nach oben zieht, hechelt der hustende Vater leicht entnervt hinterher. Aber auch diese Etappe meistern wir ohne aufzugeben, grinsen uns am Lago des Molveno Sees stolz an und nehmen ein ausgiebiges Bad. Morgen ist Finaltag.
Tag 7 – Movleno – Riva / 52km / 750hm
Riva. Ich kann es schon fast riechen. Wir schwingen uns auf die Bikes, nehmen die letzten Höhenmeter über den Passo Ballino mit Heiterkeit. Vorbei am malerischen Lago di Tenno, der sein schönstes Türkis hervorholt, geht es hinunter zum Ziel der Ziele: Riva, Lago di Garda, Trentino. Wir grinsen breit. Projekt 15/50 erfolgreich beendet.
Fazit: eine besondere Reise, ein tolles Abenteuer, auch zweimal Chicken Way lassen die Leistung des Juniors nicht klein erscheinen, wir haben ordentlich gebissen, jeder für sich. Am Ende der Tour verrät mit Patrick von Mann zu Mann: „Eigentlich wollte ich schon ein paar Mal fluchen und meckern und jammern, aber den Gefallen wollte ich dir dann doch nicht tun.“
Den Riesen-Eisbecher im Café Sole haben wir uns beide verdient.
(Infos zu Route, Strecke und Adressen gerne hier per pn oder Eintrag ins Gästebuch)
***© Udo Kewitsch***
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