Back in good old Germany. Deutschland hat uns wieder, war früher immer so ein geflügelter Satz, wenn man heimkam. Ja, es ist freilich unsere Heimat, wenngleich wir uns unterwegs nie wirklich fremd oder gar unwillkommen gefühlt haben. Deutschland empfängt uns mit einem riesigen, ja, man muss fast sagen schreiendem, Schild am Grenzübergang: „BITTE BEACHTEN SIE DIE GELTENDEN CORONA SCHUTZMASSNAHMEN“, es fehlt nur noch die Unterschrift von Dr. Karl, der eigentlich kein „richtiger“ Doktor ist. So war das mit dem Empfang. Die sieben Grenzübertritte davor verliefen in Bezug auf dieses Thema komplett stumm und unaufgeregt. Egal. Mit dem Eintritt ins Land, in die Heimat, wird mir auch schmerzlich klar: die Reise geht defacto zu Ende. Da hilft kein Flehen und kein betteln, auch die Überlegung, den Flixbusbahnhof in Hamburg oder gar Berlin anzuradeln, zerstäubt sich am Ostseestrand. „Sie haben kein Zeitguthaben mehr“ – wäre die Ansage der Navigationsdame aus dem Handy. Also, dann Brust raus und straff vorwärts auf die letzten Meter. ….Schland wir kommen.
Deutschland – Dichter und Denker?
Fakten: 4+3Tage / 547km, 2040hm / allgemein 84,0 Mio Einwohner, 235 Einw/km², BIP 3,8Bill Mrd $
Naja, Auf die Frage „Wer ist Dichter? Dr. Karl oder Goethe“ – ist die Antwort für jeden, der einen Schulabschluss bei sich trägt, eindeutig beantwortbar. Das hat jetzt bitte nichts mit dem Kontext „nicht ganz dicht“ zu tun, gell. Zurück zur Tour. Wir reisen auch hier ohne großen Kontrollaufwand ein, insofern alles wie die letzten sieben Wochen schon gehabt. Aber nur nach wenigen Kilometern, im Touri-zentrum an der Ostsee, wird es typisch deutsch. Man hupt sich durch die verkehrsberuhigte 30er Zone, wehe ein Radfahrer stört den Verkehrsfluss – funny fact, hupender Dickbauchfahrer samt Dickbauch-beifahrerin wurde 30-40sekunden später an der roten Ampel wieder eingeholt. Ich konnte mir ein „na, immer noch in Eile“ nicht verkneifen und wurde Zeuge der blutdruckerhöhenden Erregung, die sich in dem billigen VW Cabrio Beetle aufstaute – gut zu erkennen am hochroten Kopf und beginnenden Flüchen. Willkommen in … schland. Ansonsten verläuft der Rest der Reise klaglos, sieht man einmal von eigentümlichen (selbstprophezeienden??) Ortsschildern ab. In Lübeck angekommen schließen wir den Kreis im Wortsinn. Starteten wir doch am Tag1 am Hauptausgang des Lübecker Hbf, so kommen wir dieses Mal durch die Stadt am Hintereingang des Bahnhofs an und haben auf diese Art und Weise theoretisch eine ca. 20 Meter Lücke zwischen offiziellem Start und Stop dieser phantastischen „Round the baltic sea Tour“. Was für eine Reise.
Lübeck empfängt uns mit offenen Armen. Wir landen einmal mehr im Cafe an, dass uns auch am frühen Morgen des 04. Juni einen wärmenden Cappuccino kredenzte. Diesmal wird es ein (oder zwei, drei?) kühles, frisches Bier. Das zufriedene ausgelassene Breit-Grinsen nach knapp 220 Fahrstunden löst das schüchterne Lächeln der Stunde 0 ab. Wir sind ausnahmslos glücklich. Jeder auf seine Art.
Natürlich wäre Deutschland nicht Deutschland, wenn es diese typisch deutschen Erlebnisse nicht gäbe. So hab ich in meinem Live Blog ja schon darüber berichtet, dass der letzte Campingplatz die deutsche Gründlichkeit natürlich bestätigen musste. Natürlich darf nur eine Person in die ca. 20m2 große Rezeption eintreten, natürlich muss diese eine Person eine Maske tragen und natürlich wird darauf verwiesen, die Duschzeiten zu beachten, damit man sich womöglich nicht unnötig oft oder eng begegnet.
All sowas, was jetzt sieben Wochen lang, kein Thema war, kommt hier wieder etwas deu(sch)tlicher zum Vorschein. Die polnische Gastfreundschaft weicht einer nüchternen Präsens, das strenge ignorierende litauische wird abgelöst von klarer Struktur, die lettländische Weitläufigkeit wird hier in D wieder spürbar enger, die estnische Herzlichkeit wird ersetzt durch Regeln, die finnische Ruhe liegt ein viele Dezibel unter dem deutschen Pegel, die schwedischen Kleinode findet man freilich hier in Deutschland auch hie und da, die dänische Freizügigkeit ist durchaus ein Gegenentwurf zu Germany. Aber jetzt sind wir nunmal wieder hier und ich will auch gar nicht meckern.
Meckern wollte nur der türkische Busfahrer der Flixbuslinie (die uns so viel lieber war, wie diese unselige DEUTSCHE Anti Bahn) – der meinte doch tatsächlich und sehr deutsch stur: das Pinion Getriebe ist ein E-Bike. Soweit wäre es fast noch gekommen, dass man uns nicht mitnimmt, bei der Reise von Hamburg über Berlin bis nach München – um natürlich ein weiteres DB-Kapitel der eigenen Art aufzuschlagen. Diese Deutsche Bahn kann nämlich weder Rad noch pünktlich, geschweige denn eine Route vollständig (Überraschung nachts um 0h (!!) – der Zug endet in Rosenheim, weiter geht es mit SEV. SEV? Schienenersatzverkehr, Bus also, klar, über die Dörfer und das Rad irgendwie auseinander schrauben – vergiss es). Die kann eigentlich nix, aber das ist ein anders Kapitel. Ist ja ein Bike Blog hier und kein Bahn Blog.
So kommt es, wie es kommen muss: die zwei einzig echten Hürden, die wir in sieben Wochen während 4000km Tour zu überspringen hatten, waren DB Hürden. Bei der Hinfahrt und auf den letzten 100km bei der Heimfahrt. Schwiegersohn Daniel setzt mich bei leichtem Nieselregen nachts um 1.30h einen Kilometer vor der Haustüre ab und ich radele heim. Glücksgeschwängert stelle ich mein Zelt im Garten auf, will doch diese eine, letzte Nacht noch in meinem Zelt schlafen und meinen Gedanken nachhängen. Manche Dinge müssen einfach sein.
Fazit:
Sieben Länder, raus aus D, rein nach D, sieben Wochen Abenteuer. Wir haben keine Rekorde gebrochen, das war nie der Anspruch. Wir haben gelebt, gelacht, geschwitzt. Das war der Plan. Ich habe 8kg verloren, unendlich viel mehr an Reiseerfahrung gewonnen. Wir haben manchmal und ganz selten etwas Abstand gehalten und trotzdem eine Reise erlebt, die für uns ewig verbinden wird. Wir haben gelernt, dass der Inhalt von vier Packtaschen vollkommen ausreichend ist. Auch der harte Boden im Schatten eine Kirche eine kleine Oase sein kann. Das es verdammt wenig bedarf, um glücklich zu sein. Auch Tütensuppe schmackhaft sein kann und Calamari sich wunderbar auf dem Soto zubereiten lassen. Wir hatten wunderbare Sonnenuntergänge, einer schöner wie der andere, die Aufgänge habe ich bisweilen verschlafen, aber auch Schlafen ist ein Geschenk. Wir haben uns getraut und erfahren dürfen, dass alles machbar ist – auch wenn es zunächst wie eine große hohe Wand erschien: 3993 Kilometer mit dem Fahrrad in sieben Wochen mit Sack und Pack.
Wir haben tolle Menschen kennengelernt (genannt seien besonders Pit, Krystoff & Frau, Alla, Evelyn, Henni, Michael, Mart, u.v.m. entlang des Weges). Wir hatten best-of-Plätze, die man sich schöner nicht malen kann, wir haben ein paar Bier getrunken und keines bereut, alle nämlich wieder raus geschwitzt, wir haben unseren Rhythmus gefunden und konnten jedem Land sehr viele positive Seiten abgewinnen.
Heute, Sommerzeit-Ende, in wenigen Tagen ist November, ertappe ich mich immer öfter dabei, ein wenig Melancholie aufwallen zu lassen. War ich seither überdurchschnittlich oft „overnighten“, schweifen meine Gedanken doch immer wieder zurück an die Zeit – Ja, die Zeit ist vorüber, aber NEIN, diese wahrhaft geile Zeit ist präsent: in meinem Schatzkasterl, auf meiner Erinnerungsperlenkette – 49 Perlen, eine schillernder wie die andere, mit all ihren Besonderheiten in jeder Hinsicht.
Was bleibt. Dankbarkeit und Zufriedenheit und final mein persönlicher Rat: wer immer ansatzweise über ein solches, oder ähnliches Abenteuer nachdenkt. Nicht zögern, planen und dann *T*U*N* ! Ihr werdet belohnt.
Danke Euch fürs Lesen.
mehr Infos zu Deutschland braucht der deutsche Leser nicht 🙂
außer vielleicht –>
Alle sieben & D:
Teil 1 – Polen
Teil 2 – Litauen
Teil 3 – Lettland
Teil 4 – Estland
Teil 5 – Finnland
Teil 6 – Schweden
Teil 7 – Dänemark
Deutschland Bonusblog – liest man hier
Best of Impressionen aus Germany:
Schee!!!